Was in China schon längst alles geht

„Was seht ihr hier?“, fragt Dr. Stefan Justl die Seminarkursteilnehmer der Jahrgangsstufe 1 an der WSS, für die an diesem Freitagnachmittag der Vortrag zweier Mitarbeiter, Justl sowie Patricia Schröter, der Agentur Storymaker GmbH auf dem Programm steht, Thema: „Digitalisierung in China“. Zu sehen ist ein großes Linienflugzeug einer chinesischen Airline, wie Leni Corte alle Catene aus der 12/2 richtig feststellt. Stefan Justl sagt, er sehe auch eine Zeitmaschine und zeigt in kurzen Sätzen auf, dass Deutschland in Sachen Digitalisierung weit hinter dem Standard in China zurückstehe. „Deutschland ist die Vergangenheit und China klar die Zukunft.“ In den folgenden anderthalb Stunden bekommen die staunenden Schülerinnen und Schüler einen Eindruck davon, wie unterschiedlich die Lebenswirklichkeiten hier und dort sind.

Stefan Justl erzählt, er habe bis vor Kurzem zehn Jahre lang in China gelebt und gearbeitet. Die Agentur Storymaker sei mit zwei Teams, einem in Deutschland, Tübingen, und einem in China, vertreten und verstehe sich als Brückenbauer. Es seien in erster Linie die sehr unterschiedlichen kulturellen Prägungen und Einstellungen, die verstanden werden müssten, um nicht in Vorurteilen zu verharren und einen konstruktiven Dialog zu ermöglichen.

Die Schüler*innen lernen Douyin, das chinesische Pendant zu TikTok, kennen und das chinesische WeChat, das zunächst wie WhatsApp zu sein scheint, sich dann aber als eine Super-App entpuppt, die alle Funktionen in sich vereint. „WeChat ist ein von Anfang an durchdachter Kosmos, der sich immer weiterentwickelt. Es bildet das komplette Leben ab“, erklärt Justl und zeigt am Beispiel einer mobilen Fahrrad-Bar auf, wie er sich einen Drink bestellen und diesen auch bequem über die App bezahlen kann. Faszinierend einfach erscheint dabei auch die Geschäftsidee von „Bobs mobiler Bar“, die ein Fahrrad mit großer Kühlbox auf dem Gepäckträger zeigt. Über WeChat habe Bob sich schnell einen Kundenstamm an angesagtem Treffpunkt gesichert, so Justl.

Wie viele Jahre und Jahrzehnte China in Sachen QR-Code-Scannen, Video-Plattformen (z.B. BiliBili), Bezahlsystemen (AliPay), Live-Streaming und E-Commerce weit voraus ist, darüber klärt Patricia Schröter mit Vergleichstabellen auf und zeigt in kurzen Videos, wie und welche Art von Diensten die chinesische Bevölkerung nutzt. Wo in Deutschland Datenschutz-Vorbehalte vieles verhindern, gebe es bei den Chinesen die generelle Offenheit, sich zu vernetzen. Das Prinzip in China sei: „Ich mach’s dir einfach.“ Stefan Justl sagt: „So sind die drauf und weil die so drauf sind, müssen sich die deutschen Unternehmer anpassen.“ Im chinesischen System sei Hate-Speech undenkbar, Politiker-Schelte im Internet nicht existent. Die Kehrseite heißt: keine freie Meinungsäußerung. Kurz wird auch diese Thematik gestreift. „Man lerne schnell, was man sagen könne und was nicht“, so Justl. Deutlich wird dabei auch: Im Fokus steht nicht das Individuum, sondern das große Ganze, als dessen Teil ich mich als chinesischer Staatsbürger verstehen muss. Dominant bleibt am Ende des Vortrags die Faszination von so vielen einfachen und bequemen Lösungen in China.

Dr. Stefan Justl zeigt die Entwicklung der Funktionen bei WeChat
Die Unterschiede von Douyin und TikTok zeigt Patricia Schröter auf.
Die digitale Welt in China.

Ein weiterer China-Kenner aus Shanghai, den Patricia Schröter und Stefan Justl in ihrem Vortrag auch kurz als angesagten Influencer in China vorgestellt haben, ist Afu Thomas Derksen. Hier ein Interview mit ihm:

Worüber lachen Chinesen? Leben als Deutscher in China | Deutscher Influencer Afu Thomas Derksen 阿福